Nahost

Geschehen in Israel könnte zu regionalem Krieg anwachsen

Die Erfolge der Hamas bei ihrem Vorstoß offenbaren Schwächen der israelischen Aufklärung und des Militärs. Bei den Angriffen könnte es sich um eine bewusste Provokation handeln, die das Risiko birgt, die ganze Region in einen größeren Krieg zu stürzen.
Geschehen in Israel könnte zu regionalem Krieg anwachsenQuelle: AFP © GIL COHEN-MAGEN

Von Andrei Rudenko

Die Spirale des Kriegs in Israel beginnt, sich zu entfalten. Der UN-Sicherheitsrat hat zum wieder aufgeflammten Konflikt keine Resolution verabschiedet. Israels Armee zerstört Gaza, die palästinensische Autonomie, in der zwei Millionen Menschen leben. Die Luftwaffe fegt Wohngebiete hinfort, in der Stadt gibt es Brände, Zivilisten – darunter viele Kinder – werden getötet. Ein Einmarsch in Gaza wurde nicht offiziell verkündet, bisher berichteten nur Medien unter Verweis auf Quellen im Pentagon von Plänen zum Beginn einer Bodenoperation. Kurzum, Israel reagiert auf einen Angriff, der zeigte: Eine der besten Armeen der Welt, der Mossad, "die eiserne Kuppel", der Merkava-Panzer – alles war nur heiße Luft. Hamas-Kämpfer auf Pick-ups und zu Fuß brachen das Sicherheitssystem auf, verbrannten Fahrzeuge, nahmen israelische Soldaten und Offiziere gefangen, besetzten Städte.

Ich sage es gleich vorab: Alles, was den gefangenen Israelis, ob Zivilisten oder Militärangehörigen, widerfahren ist, ruft Zorn hervor. Es gibt keine Rechtfertigung für jene, die Frauen misshandeln und Kinder einschüchtern. Doch wenn man nur die militärische Komponente betrachtet, kam es zu einem phänomenalen Scheitern von Israels Sicherheitssystem.

Aufklärung. Wenige Wochen zuvor erschienen Analysen der Lage in Gaza, wonach die Hamas mit Sozialpolitik beschäftigt sei, die zwei Millionen Bewohner von Gaza versorgen, ihnen Löhne zahlen und Arbeitsplätze sichern müsse. Einen Krieg brauche die Hamas nicht. Das Ergebnis dieser Analytik können wir nun sehen. Tausende Raketen, die ins israelische Hinterland fliegen, und ein Vorrücken um 35 Kilometer wurden verpasst.

Das Scheitern der Militärs. Das System der Aufklärung und Reaktion funktionierte nicht. Um 6:00 Uhr hatten alle Militärangehörige an der Grenze zu Gaza aus irgendeinem Grund geschlafen, während ein heftiger Raketenbeschuss von Gazas Grenze bis Netanja im Zentrum des Landes begann. Unter der Deckung des Beschusses griffen Hamas-Kämpfer das Umland von Aschkelon vom Meer aus an, überflogen auf Gleitschirmen die Grenze, rissen Grenzbefestigungen mit Planierraupen nieder und brachen ins Innere von Israel auf Pick-ups durch. Die Palästinenser handelten gekonnt, ganz im Sinne des klassischen Manöverkriegs. Sie griffen in unterschiedliche Richtungen an und veranlassten die Kräfte der Armee, sich gleich über weite Gebiete zu zerstreuen. Ihre Aufgabe war es, Siedlungen zu besetzen, und sie nahmen 22 Siedlungen ein, von denen sie einen Teil noch immer halten. Die Palästinenser flogen auf Gleitschirmen – wo waren da die Beobachtungssysteme? An der Grenze zu Gaza hängen in der Luft ständig Ballons mit Kameras, die buchstäblich jeden Millimeter des Gebietes in der Nähe der Grenzsperren durchleuchten. Dazu gibt es Drohnen, Bewegungsmelder oder einfach Wächter. Wie kam es dazu, dass die Basis der Division "Gaza" samt dem Stab aufgegeben und nicht gehalten wurde? Es ist ein Rätsel.

Was ist als Nächstes zu erwarten? Jetzt greift die Luftwaffe Gaza an, Israels Armee sammelt schwere Technik. Tel Aviv rächt sich für die Gefallenen, und das war zu erwarten. Doch heute raten in Israel viele dem Militär von einer Bodenoperation ab, denn alles sieht wie eine Falle für Israel aus. Die Brutalität der Hamas gegenüber Zivilisten scheint beabsichtigt, um Israels Armee zu einer Reaktion und einer Invasion zu provozieren. Wenn aber die Armee in den Gazastreifen einrücken sollte, könnte die Hisbollah von der Seite Libanons aus eine zweite Front eröffnen, was Israel abschreckt. Denn diese pro-iranische schiitische Gruppierung ist viel stärker als die Hamas und verfügt über eigene Raketentruppen, Artillerie, Mehrfachraketenwerfer, Aufklärungs- und Kampfdrohnen, Panzer, Sturmtruppen mit Kampferfahrung in Syrien und anderswo. Die Hisbollah hat etwa 25.000 bis 30.000 Kämpfer. Ihr Einmarsch wäre für Israel eine Katastrophe. Außerdem könnte der Brand das Westjordanland mit seiner arabischen Bevölkerung und auch Städte erfassen, in denen Araber und Juden gemeinsam wohnen. In Jerusalem und Hebron kam es bereits zu Zusammenstößen und Schießereien. Kurzum, die Szenarien für Israel sind eines schlimmer als das andere. Doch die Hauptgefahr ist der Übergang des Konflikts in einen regionalen Krieg, der sich auf zwei bis drei Kontinente erstrecken könnte.

Übersetzt aus dem Russischen.

Andrei Rudenko berichtet seit 2014 über das Kriegsgeschehen im Donbass. Er arbeitet für die russische staatliche Rundfunkanstalt WGTRK. Man kann ihm auf seinem Telegram-Kanal folgen.

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