Mangelhafte Kinderbetreuung: Eine Folge neoliberaler Politik mit Schonprogramm für Reiche
Von Susan Bonath
Oft zermürbend, viel gehasst, nicht selten sinnfrei und teils mies bezahlt: Lohnarbeit bringt die Wirtschaft voran und gilt als eine "heilige" Kuh im modernen Industrie-Schlaraffenland. Ein "guter Mensch" ist, wer schuftet bis zum Umfallen, am besten bis ins Greisenalter, notfalls für einen Hungerlohn. Angeblich – so heißt es aus verschwörungspolitischen Kreisen – regelt der Markt das alles von alleine. Doch jeder Nichtmillionär, der Kinder hat, wird meist schnell eines Besseren belehrt. Denn die Kinder müssen irgendwo unterkommen.
Der Staat als Manager des ganzen Spiels muss Kindertagesstätten schaffen. In der Bundesrepublik hat das noch nie besonders gut geklappt. Trotz ständig wiederholter politischer Versprechen und in Gesetze gemeißelter Rechtsansprüche mangelt es an öffentlichen Kitaplätzen, und die Betreuungsqualität ist miserabel. Und es wird absehbar auch nicht besser, im Gegenteil, resümierte es kürzlich wieder einmal die Bertelsmann-Stiftung.
Mangelware Kitaplätze
In Deutschland fehlten, so heißt es in der Studie, um die 430.000 Kitaplätze, die allermeisten davon – im Westen. Hier zehrt ausnahmsweise mal der Osten noch immer vom einst flächendeckenden Kindergartenangebot des "Unrechtsstaates" DDR. Heute halte der Ausbau dieser Plätze leider nicht mit der Bedarfsentwicklung mit, so resümieren die Bertelsmann-Autoren. Der Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung, der seit 2013 auch für Familien mit unter Dreijährigen gesetzlich verankert ist, werde deshalb bis heute nicht wirklich umgesetzt.
Doch selbst wer einen Platz ergattern konnte, weiß seinen Nachwuchs nicht unbedingt bestmöglich betreut. Laut Studie halten Einrichtungen im Osten zu 90 Prozent, im Westen zu 62 Prozent den vorgegebenen Personalschlüssel nicht ein. Vielfach seien pädagogische Konzepte gar nicht umzusetzen.
Die Bertelsmann-Stiftung, die den jetzt von ihr regelmäßig beklagten, zusammengestutzten Sozialstaat eigentlich selbst mit zu verantworten hat, präsentiert dafür den auch ihrer Meinung nach neuen Universalschuldigen – den Fachkräftemangel. Das klingt verdächtig nach der Geschichte von zu vielen "Faulpelzen" im Land, die keine Lust hätten, sich für dringend benötigte Berufe ausbilden zu lassen oder überhaupt zu arbeiten.
Kommunen in der Schuldenfalle
Doch so einfach ist das nicht. Kitaplätze bereitzustellen, ist eine Pflichtaufgabe der Kommunen. Vielen fehlt aber schlicht das Geld dafür. Ihre finanziellen Defizite wachsen immer schneller, wie im Sommer die Tagesschau berichtete.
Laut Statistischem Bundesamt ist die kommunale Schuldenlast insgesamt allein seit dem Jahr 2020 um 13 Prozent in die Höhe geschnellt – Tendenz: weiter steigend.
Darum sollen die Kommunen sparen. Aber das tun sie, und zwar längst nicht mehr nur, indem sie freiwillige Aufgaben von ihrer Liste streichen, wie den Betrieb von Freibädern oder Jugendklubs zum Beispiel. Sie sparen auch bei ihren Pflichtaufgaben, und dort zu allererst am Personal. Verschlechtert sich die Lage weiter, wird meist "privatisiert" – egal ob Kliniken, Stadtwerke oder Altenheime. Besser wird die Qualität damit in aller Regel aber keineswegs, denn Löhne für das Personal schmälern bekanntlich den Profit für die neuen, privaten Eigentümer.
Öffentliche Aufgaben unterm Hammer
Seit Jahren entledigt sich der Bund seiner sozialen Verpflichtungen, indem er sie den Kommunen auflädt. Das gilt nicht nur für Kindertagesstätten, sondern auch für Schulen und Sportklubs, für die Kanalisation und Müllabfuhr, für die Feuerwehr und die Abwasserbeseitigung, für die Jugendhilfe und Behindertenfürsorge, für die Wohnkosten für Bezieher von Grundsicherungsleistungen und vieles mehr.
Kommt nicht genügend Geld in die Kassen, hat das Folgen: Freiwillige Angebote werden eingestampft, Pflichtaufgaben an Privatiers ausgelagert, Kliniken, Kitas und kleine Schulen – vor allem auf dem Land – werden geschlossen, Kinder und Patienten müssen immer weiter fahren. Immer mehr Kultureinrichtungen fallen dem Rotstift zum Opfer, Straßen und Brücken verfallen. Die Städte und Gemeinden müssen sparen, wo immer es geht.
Sozialstaat für Milliardäre
Die Kommunen sind nicht "etwas verschuldet", sondern sie sind heillos überschuldet. Denn der Bund hält sie knapp, und das begann bereits mit der Angliederung der DDR an die BRD im Jahr 1990. Seither türmen sich die sogenannten "Altlasten" auf, und diese je zurückzuzahlen, ist mit der gegenwärtigen Finanz- und Steuerpraxis gar nicht möglich.
Hauptgrund dafür ist auch der Rückgang der Staatseinnahmen: Die schwarz-gelbe Regierung unter dem Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) begann damit, schrittweise die Gewinn-, Vermögens- und Erbschaftsteuern abzusenken und den Spitzensteuersatz auf hohe Einkommen zu herunterzuschrauben. Sie förderte zudem die Kapital- und Steuerflucht von Konzernen und Superreichen. Zugleich subventionierte sie die Übernahme ehemaliger DDR-Betriebe durch westliche Großinvestoren und Glücksritter über die treulose "Treuhand". Den Schuldenberg daraus in Höhe von 256 Milliarden D-Mark übernahm der Bund. Für die Kommunen blieb immer weniger.
Die Privatisierungs- und Steuersenkungsexzesse bis hin zum vollständigen Aussetzen der Vermögenssteuer 1997 leerten die Kassen des Bundes und machten die Reichen weiter reicher. Das große Jammern begann: Wer soll das bezahlen? Ein Sündenbock war schnell gefunden: die lohnabhängige Mittelschicht. Die regierenden Politiker in Berlin senkten Stück für Stück die Renten, kürzten die Sozialhilfe, stutzten die Krankenkassenleistungen und ebneten mit Hartz IV den Weg in Deutschland für das Etablieren des größten Niedriglohnsektors in Europa.
Die Kommunen bekamen zugleich mehr Lasten aufgebürdet und weniger Geld. Privatisierungen von Wohnungsgesellschaften, Stadtwerken und Kliniken spülten nur kurzzeitig Geld in die Kassen, das rasch wieder abfloss, nun an die Privatiers. Heute müssen Mieter und Verbraucher daher oft Mondpreise für die Grundversorgung, also Wohnen, Strom und Gas, bezahlen – ein perfekter Sozialstaat für Milliardäre.
Legale Schlupflöcher für die Oberschicht
Alles dreht sich ums Geld, heißt es treffend. Kinder und Greise, Kranke und sozial Bedürftige lassen aber keine Kassen klingeln. Sie kosten, und keiner will es bezahlen, schon gar nicht jene Milliardäre, die ihren Profit stets fest im Blick haben und sich private Kindermädchen leisten.
Statt Jugendliche auszubilden, in eine funktionierende Gesellschaft zu investieren oder zumindest genug Steuern zu bezahlen, dass der Staat das auf die Reihe bekommen könnte, klagen die Superreichen mit ihren Lobbyverbänden und politischen PR-Sprechern über angeblichen Fachkräftemangel und fordern immer neue soziale Schikanen gegen jene, die ihren Reichtum erwirtschaften sollen.
Denn Superreiche scheuen Steuern wie der Teufel das Weihwasser. Neben mehr als 100 Milliarden Euro, die Superreiche jährlich illegal hinterziehen, hält Vater Staat für sie auch jede Menge legale Schlupflöcher bereit: Sie legen sich geschachtelte Holdings zu, investieren ihre Vermögen in Immobilien, verschieben es in Stiftungen oder ziehen große Summen in Steueroasen ab. Eine EU-finanzierte Forschergruppe fand das nun in einer Studie über das Steueraufkommen heraus. Die Autoren führen darin aus, was viele Ottonormalbürger schon immer vermutet haben: Superreiche zahlen die geringsten Steuern, bluten muss dafür die Mittelschicht.
Neoliberale Fans der Schuldenbremse
Die neoliberale PR-Abteilung der Profiteure sitzt auch mitten unter den Politikern. Derzeit wettert beispielsweise der CDU-Chef und deutsche Ex-BlackRock-Aufsichtsrat Friedrich Merz in Dauerschleife abwechselnd gegen Bürgergeldbezieher und gegen vermeintliche Pläne der "Ampel"-Regierung, die Schuldenbremse auch nächstes Jahr aussetzen zu wollen oder müssen.
Diese Schuldenbremse ist eine weitere "heilige Kuh" der Neoliberalen, nämlich ihre Reaktion auf die durch sie verursachten staatlichen Mindereinnahmen. Ein jüngerer Parteifreund von Merz, der CDU-Aufsteiger und Bundestagsabgeordnete Christoph Ploß, legte diesbezüglich in Springers Zeitung Die Welt noch einmal kräftig nach. Er rief wörtlich dazu auf: "Rettet die Schuldenbremse – kürzt den Sozialstaat!"
Stimmungsmache für noch mehr Sozialabbau
Seiner Meinung nach gebe der Staat die "Steuermilliarden" – vor deren Zahlung sich wie gesagt Superreiche erfolgreich drücken – falsch aus. Die "Rente mit 63" nach 45 Arbeitsjahren sei "unzeitgemäßer denn je", das Bürgergeld sei zu hoch, Sanktionen gegen Arme seien zu gering und die Lebensarbeitszeit sei in Deutschland eh viel geringer als anderswo. Das stimmt zwar nicht, reicht aber wohl, um Stimmung zu machen.
"Stimmung machen" ist das Geschäft von Ploß, Merz und deren Kollegen im Deutschen Bundestag. Dafür werden sie jedenfalls viel besser aus dem Steuertopf bezahlt als Erzieherinnen in kommunalen Kitas. Die CDU und ihre kleine Schwester AfD mimen damit gern eine Opposition gegen die "Ampel". Dabei agieren SPD und Grüne kaum weniger neoliberal. Ob in der Regierung oder in der Opposition: Sie dachten seit der Ära Kohl zu keinem Zeitpunkt daran, von den wirklich Reichen mehr zu fordern. Vermutlich fürchten sie deren Zorn.
Lösungsvorschlag: Reiche wieder integrieren
Man fragt sich, wie das alles ausgehen soll: Die Armut wächst, die Zahl der Obdachlosen, Drogensüchtigen und Bettler explodiert, Sozialdarwinismus feiert gemeinsam mit dem Niedriglohnsektor Hochkonjunktur, längst sprießen Slums in deutschen Großstädten wie Pilze aus dem Boden. Das ist, wie man an den Vorreitern USA und Großbritannien trefflich sehen kann, eindeutig eine Folge neoliberaler Politik.
Die Idee, die Folgen mit noch mehr Neoliberalismus in den Griff zu bekommen, kann historisch als gescheitert angesehen werden. Kitas müssen gebaut werden. Fachkräfte muss man ausbilden. Das personelle Potenzial dafür gedeiht auf sozialem Ausgleich, auf einer Politik, die Armut ernsthaft beseitigt, Menschen integriert statt ausgrenzt und alle Kinder fördert.
Ein Armenhaus in Selbstverwaltung kann das nicht leisten. Die regierenden Politiker müssen die Superreichen angemessen in die Verantwortung nehmen, sie also wieder voll integrieren, so wie sie es von allen anderen Menschen im Land auch verlangt. Womöglich reicht das Geld dann nicht nur für genügend Kitaplätze, sondern auch für bessere medizinische Versorgung, für Freibäder, Parks, Kultureinrichtungen und Jugendklubs. Das käme allen zugute, letzten Endes sogar auch den Milliardären. Auch sie dürften am sozialen Frieden sehr interessiert sein. Eine zivilisierte Gesellschaft sollte das leisten können.
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