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Moskau stimmt Biden zu: Die Welt braucht eine neue Ordnung

Erst verkündete US-Außenminister Antony Blinken, die alte Weltordnung sei vorbei und komme nicht mehr wieder, und nun gesteht US-Präsident Joe Biden, dass eine neue Weltordnung benötigt werde. Dem stimmt man in Moskau zu, doch unterscheiden sich die Vorstellungen darüber, wie diese aussehen sollte, deutlich.
Moskau stimmt Biden zu: Die Welt braucht eine neue Ordnung© AP Photo/Jacquelyn Martin

Von Wladimir Kornilow

"Wir sind absolut einverstanden mit Herrn Biden. Dies ist ein seltener Fall, dass wir dem, was er gesagt hat, absolut zustimmen", sagte Dmitri Peskow, der Pressesprecher des russischen Präsidenten, am Montag. In den vergangenen Jahren haben wir wirklich sehr selten Worte der völligen Einigung zwischen dem Kreml und dem Weißen Haus gehört. Und nun ist diese einmalige Gelegenheit gekommen!

Anlass dafür war eine Erklärung von Joe Biden, die er auf einer Wahlkampfveranstaltung für Spender abgab. Stammelnd und stotternd verkündete der US-Präsident dennoch offen den Satz: "Wir brauchen eine neue Weltordnung."

Moment mal, hat der Westen nicht in den vergangenen Jahren Russland und China beschuldigt, "die bestehende Weltordnung zerstören" zu wollen? Das war die Grundlage für die Sanktionen gegen uns. Der Chef der EU-Außenpolitik, Josep Borrell, erklärte letztes Jahr, er werde die Weltordnung mit solchen Maßnahmen vor den Übergriffen Russlands schützen.

Im Frühjahr des vorletzten Jahres widmete US-Außenminister Antony Blinken vor dem UN-Sicherheitsrat eine ganze Rede der Notwendigkeit, eben jene Ordnung zu verteidigen, die nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden ist. Er verkündete damals feierlich: "Unser Ziel ist es, diese Ordnung zu schützen, zu erhalten und mit Leben zu erfüllen."

Zudem haben sich die liberalen Medien große Mühe gegeben, die Absichten des Weißen Hauses, die bestehende Weltordnung zu verändern, zu widerlegen. USA Today hat zum Beispiel mehrmals Artikel veröffentlicht, in denen "Verschwörungstheorien" über Bidens Pläne entschieden zurückgewiesen wurden. Noch im März letzten Jahres war dort zu lesen: "Biden erwähnte zwar eine 'neue Weltordnung', aber er sprach dabei lediglich von internationalen Veränderungen infolge des Russland-Ukraine-Konflikts. Er bestätigte damit allerdings keine Verschwörungstheorie über die Weltherrschaft." Dann wiederholten die Journalisten ähnliche Argumente vor relativ kurzer Zeit, nämlich vor eineinhalb Monaten. Nun kündigt Biden seine Pläne jedoch offen an, so als wolle er diese Aussagen widerlegen.

Es ist jedem klar, dass der Präsident der Vereinigten Staaten nicht in der Lage ist, seine Gedanken klar zu formulieren, geschweige denn tiefgreifende Strategien zu entwickeln. Um seine Worte zu verstehen, sollte man denen zuhören, die seine Reden verfassen und Pläne ausarbeiten. In diesem Fall empfiehlt es sich, auf Blinkens Grundsatzrede vom letzten Monat über "die Aufgaben der US-amerikanischen Diplomatie in der neuen Epoche" zu schauen. Darin verkündet er unmissverständlich das Ende der Weltordnung nach dem Kalten Krieg und den Beginn einer neuen Weltordnung, die unter der Herrschaft der USA aufgebaut werden soll. Biden hat jetzt bestätigt, dass dies die offizielle Politik seiner Regierung sei.

Diese Äußerungen wurden sofort von den liberalen Medien und den Politikern aufgegriffen, die sich bei Biden anbiedern. Der Erste, der sie zur Kenntnis genommen hat, war der ehemalige britische Premierminister Boris Johnson. Die Überschrift seines Artikels ist vielsagend: "Biden hat recht. Amerika ist die letzte und beste Hoffnung der Erde gegen ein Kontinuum des Bösen, das sich gegen Freiheit und Demokratie richtet." Unterwürfiger hätte man es nicht formulieren können!

Johnson, ein Anhänger Winston Churchills und Autor des Konzepts eines "Globalen Großbritanniens", sieht sich in seinem Artikel gezwungen, zuzugeben, dass sein Land nicht mehr in der Lage ist, die Rolle des Welthegemons zu spielen, weshalb er diesen Platz freundlicherweise an die Vereinigten Staaten abtritt. Die Erklärung ist sehr einfach und ganz im Sinne Johnsons: "Ich würde die Vereinigten Staaten als Anführer einem der anderen derzeitigen Kandidaten vorziehen [zu denen er China und Indien zählt]. Es war gut zu hören, dass der US-Präsident seine Führungsrolle behauptet hat. Lassen Sie uns dem richtigen Team zum Sieg verhelfen."

In diesem Punkt unterscheiden wir uns von Washington, wie auch Dmitri Peskow erklärte. Als die russische Führung ursprünglich die Schaffung einer neuen Weltordnung ankündigte, verkündete sie einen Kurs zur Verwirklichung einer multipolaren Weltordnung. Hierfür haben wir aufseiten Chinas volle Übereinkunft gefunden.

Biden, Blinken, Johnson und andere selbst ernannte Ideologen der neuen Weltordnung versuchen, uns ein Konzept aufzuzwingen, das von Rudyard Kipling in seinem Gedicht "The White Man's Burden" beschrieben wurde. Darin heißt es, dass man "Halbwilde und Halbkinder" beherrschen und nicht versuchen solle, sich mit dem Gerede über ihre Freiheit abzulenken.

Der russische Politikwissenschaftler Sergei Michejew hat dieses Konzept sehr treffend beschrieben:

"Die westlichen Eliten bieten die Ein-Mann-Herrschaft über die Welt an. In Form eines geeinten Antlitzes werden wir – so sagen sie – euch alle regieren. Ihr alle solltet glücklich darüber sein. Gleichzeitig werden wir euch alle noch in Bürger der höchsten Klasse, der ersten, der zweiten, der dritten Klasse und so weiter einteilen."

Aber das ist doch dieselbe Welt, mit der niemand mehr zufrieden ist! Daher die Widersprüche, wenn Washington Russland vorwirft, die Weltordnung verändern zu wollen, und gleichzeitig fordert, dass die USA dasselbe tun. Der russische Senator Alexei Puschkow stellte einst fest:

"Die Vereinigten Staaten können die neue Welt nicht anführen, weil sie ihr Bestes tun, um an der alten festzuhalten."

Wir können also festhalten: Washington hat sich lange und hartnäckig an die alte Weltordnung geklammert und Russland und China vorgeworfen, sie zerstören zu wollen, hat aber nun erkannt, dass es unmöglich ist, sie aufrechtzuerhalten. Und darin sind wir uns schließlich einig. Bidens Team hat jedoch Henry Kissingers Warnung nicht begriffen, dass "kein Land allein die Weltordnung gestalten kann". Während Moskau und Peking den Globalen Süden einbinden und gemeinsam das Bild der Zukunft gestalten, versucht Washington einmal mehr, die neokoloniale "Last des weißen Mannes" zu schultern. Naiverweise hält man den Enthusiasmus von "zustimmenden Grunzern" wie Boris Johnson für eine Art kollektive Kreativität. Dieser Ansatz ist jedoch bereits einmal gescheitert, warum hätte man ihn sonst aufgegeben?

Übersetzung aus dem Russischen. Der Artikel ist zuerst am 24. Oktober 2023 auf RIA Nowosti erschienen.

Wladimir Kornilow ist ein sowjetischer, ukrainischer und russischer Politologe, Geschichtswissenschaftler, Journalist, Schriftsteller und gesellschaftlicher Aktivist. Er ist zudem politischer Beobachter bei der russischen Internationalen Nachrichtenagentur Rossija Sewodnja.

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