Meinung

Die Tugendbekundungen des Westens überschlagen sich in Bezug auf Israel

Bei all dem rhetorischen Getöse und der Kriegstreiberei der EU und der USA ist klar; Frieden ist nicht ihre oberste Priorität. Und wenn die Vernunft zugunsten von Emotionen in den Hintergrund zu treten droht, haben sie die besten Chancen, ihre potenziell katastrophale Agenda durchzusetzen.
Die Tugendbekundungen des Westens überschlagen sich in Bezug auf IsraelQuelle: AFP © Mahmud Hams

Von Rachel Marsden

"Israel hat das Recht, sich zu verteidigen – heute und in den kommenden Tagen. Die Europäische Union steht an der Seite Israels", twitterte am Sonntag die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen. Damit segnete sie praktisch einen Freibrief für die bekanntlich besonnene und zurückhaltende israelische Führung als Reaktion auf die Hamas-Angriffe ab.

"Was glauben Sie, wer Sie sind? Sie sind nicht gewählt und haben keine Befugnis, die EU-Außenpolitik zu bestimmen, die vom @EUCO festgelegt wird", antwortete die irische Europaabgeordnete Clare Daly.

"Europa steht NICHT 'an der Seite Israels'. Wir stehen für den Frieden. Sie sprechen nicht für uns. Wenn Sie nichts Konstruktives zu sagen haben, und das haben Sie eindeutig nicht, halten Sie den Mund."

Mit einem einzigen Tweet gelang es von der Leyen, ganz Europa als militanter darzustellen als selbst die Redaktion einer der wichtigsten überregionalen israelischen Zeitungen, Haaretz, die dem israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu die Schuld an den Anschlägen gab und ihn der "Annexion und Enteignung" beschuldigte, die "die Existenz und die Rechte der Palästinenser offen ignoriert". Daraus ergibt sich, dass keine Aktion in einem risikofreien Vakuum stattfindet, ohne eine Reaktion auszulösen.

Dass Europas nicht gewählte Königin Ursula in einer reflexartigen emotionalen Reaktion einseitig Hyperschallraketen der Tugendbekundung abfeuert, birgt die Gefahr, dass dies unmöglich eine Außenpolitik ersetzen kann, die in besonnenen Momenten entschieden wird. Doch heutzutage ist das eben meistens die einzige Form von Außenpolitik, die wir bekommen – bei allem, angefangen von Israel bis hin zur Ukraine.

Ein weiteres Beispiel dafür, dass die Symbolik dem politischen Pragmatismus vorauseilt, ist die Ankündigung der EU, ihre Unterstützung für Palästina einzustellen ... bevor sie diesen Schritt nur wenige Stunden später wieder zurücknimmt. Am Montag kündigte der israelische Verteidigungsminister an, dass die israelische Armee (IDF) den Gazastreifen noch stärker als üblich blockieren und die Einfuhr von Wasser, Lebensmitteln, Treibstoff und Strom verhindern werde. Und nur ein paar Stunden später erklärte der EU-Kommissar für Nachbarschaft und Erweiterung, Olivér Várhelyi, dass sich die EU der Sache anschließe, indem sie ihre humanitären Mittel für das palästinensische Volk zurückhalte. Deutschland und Österreich waren die ersten, die den Ball zum Abzug der Mittel ins Rollen brachten.

Wenige Stunden später wurde das Einfrieren der EU-Hilfen jedoch vom Chef der EU-Außenpolitik, Josep Borrell, wieder rückgängig gemacht. Nachdem ihm offenbar klar geworden war, dass dies nur dazu führen würde, "das gesamte palästinensische Volk zu bestrafen" und "die Terroristen nur noch mehr zu ermutigen." Es kann doch nicht sein, dass Brüssel diese Terroristen versehentlich sogar noch finanziert hat, oder?

Brüssel hat der Palästinensischen Autonomiebehörde seit 2008 über einen Zeitraum von 12 Jahren 2,5 Milliarden Dollar an direkter Finanzhilfe gewährt und erklärte kürzlich, dass es von 2021 bis 2024 rund 1,24 Milliarden Dollar überweisen werde. Die Mittel wurden nicht einmal gekürzt oder gestrichen, sondern nur für einige Monate in den Jahren 2021 bis 2022 zurückgehalten und dann ohne Vorbedingungen wieder freigegeben, während Beobachtungsstellen behaupteten, dass palästinensische Schulbücher antisemitische Inhalte hätten, die den Terrorismus fördern und verherrlichen. Und nun zeigt Israels Außenministerium mit dem Finger auf Brüssel: "Die Europäische Union hat Schulbücher der palästinensischen Behörden finanziert, die voller Antisemitismus und Aufforderungen zu Gewalt und Terrorismus gegen Juden waren", sagte der Sprecher des israelischen Außenministeriums, Lior Hayat, Anfang dieser Woche.

Als die Angelegenheit zum ersten Mal zur Sprache kam, traf sich der damals zuständige EU-Kommissar mit dem israelischen Außenminister in Brüssel und sagte im Grunde: "Wir werden dafür sorgen, dass so etwas nicht mehr vorkommt" – und verabschiedete daraufhin eine entsprechende Resolution. Anfang dieses Monats wurden außerdem Berichte von NGO-Überwachungsgremien veröffentlicht, in denen Brüssel beschuldigt wurde, Zuschüsse finanziert zu haben, die in die Hände der Volksfront für die Befreiung Palästinas flossen, die von der EU als terroristische Vereinigung eingestuft wird.

Erst Anfang dieses Jahres, im Februar, hatte die EU in Anwesenheit von Präsident Mahmud Abbas weitere 300 Millionen Dollar für das palästinensische Volk angekündigt – Mittel für Gehälter, Renten, Gesundheitsfürsorge und Dinge wie "klimafreundliche Agrarwirtschaft" und "grüne Wettbewerbsfähigkeit". Doch jetzt scheinen sich Brüsseler Beamte plötzlich zu fragen: "Moment mal, haben wir die Hamas finanziert … vielleicht?" Denn das ist es, worauf ihr Handeln hinzudeuten scheint. Wo liegt sonst das Problem, dem palästinensischen Volk weiterhin zu helfen?

Oder vielleicht hat sich die EU angesichts des ganzen klimabewussten Geredes über die Hilfe ja nur darüber geärgert, dass die Drachenflieger der Hamas motorisiert waren. Man kann davon ausgehen, dass irgendein Eierkopf in Brüssel die Berichterstattung über all die benzinschluckenden Pickup-Trucks verfolgt, mit denen die Hamas Dörfer überfiel und Menschen entführte, und sich fragt: "Wie sieht der CO2-Fußabdruck dieser Fahrzeuge aus?"

Alle Tugendbekundungen der Welt können jetzt nicht den Mangel an Sorgfalt wettmachen, den der schizophrene Rückzieher und die anschließende Wiederaufnahme der palästinensischen Finanzierung vermuten lassen. Es wäre nicht das erste Mal, dass unschuldige Menschen unter der Inkompetenz Brüssels zu leiden haben. Fragen Sie einfach die Menschen im gesamten europäischen Block, die derzeit mit scheinbar endloser wirtschaftlicher Not konfrontiert sind, sodass sich ihre Führer weiterhin auf die Schulter klopfen können, weil sie die Ukraine unterstützen.

Und genau wie in der Ukraine scheint Brüssel nicht sonderlich daran interessiert zu sein, die Gelegenheit zu nutzen, in diesem Konflikt eine entschärfende oder umsichtige Rolle zu spielen, sondern setzt sich wie üblich an die Seite der Neocons in den USA, egal, was gerade angesagt ist.

Zwar sagt selbst US-Außenminister Antony Blinken, dass es keinen "schlagenden Beweis" gibt, der den Iran mit den jüngsten Hamas-Anschlägen in Verbindung bringt. Doch das hat die üblichen neokonservativen Kriegstreiber auf der amerikanischen Seite des transatlantischen Bündnisses nicht davon abgehalten, die eigentliche Politik durch Parolen zu ersetzen – natürlich zugunsten eines iranischen Regimewechsels. "Dies ist einer der besten Anwendungsfälle für einen Regimewechsel in der Geschichte", sagte John Bolton, der ehemalige nationale Sicherheitsberater der USA. Denn wenn es darum geht, einen iranischen Regimewechsel voranzutreiben, sind die Neocons plötzlich bereit, das Wort der Hamas als ihre vertrauenswürdige Quelle für die Beteiligung des Irans zu akzeptieren. "Die Biden-Administration sollte Rückgrat zeigen und Teheran die Schuld zuweisen, weil sie dorthin gehört", fügte Bolton später hinzu. Das "passt" zu dem radikalen neokonservativen Narrativ, selbst wenn es zum Nachteil amerikanischer Leben und Interessen ist, und zwar ohne Rücksicht auf Fakten und Politik.

"Es ist längst an der Zeit, für all den Aufruhr und die Zerstörung, die der iranische Terrorstaat in der Region und der ganzen Welt anrichtet, einen Preis zu zahlen", tönte Senator Lindsey Graham (South Carolina). Irgendwie gelingt es diesen Kriegstreibern nie, die interventionistische Patenschaft zu bemerken, die Washington und der Westen seit langem ausüben und die wohl all diese Nachbarn im Nahen Osten daran gehindert hat, ihre Probleme untereinander zu lösen.

Großspurige Rhetorik in der Hitze der Krise ist billig für die westlichen Sesselgeneräle, aber potenziell teuer für unzählige andere. Um Verbündete und Unterstützer zu beschwichtigen, schießen sie über das Ziel hinaus und kümmern sich kaum um die Auswirkungen. Und genau in diesen entscheidenden Momenten, wenn die Vernunft zugunsten von Emotionen in den Hintergrund zu treten droht, haben sie die besten Chancen, ihre potenziell katastrophale Agenda durchzusetzen.

Übersetzt aus dem Englischen.

Rachel Marsden ist Kolumnistin, politische Strategin und Moderatorin von unabhängig produzierten Talkshows auf Französisch und Englisch.

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