Meinung

Die beste Waffe der EU gegen die Meinungsfreiheit funktioniert nicht

Die Europäische Union hat gerade erkannt, dass sie das Internet nicht mit eiserner Faust regieren kann, indem sie mit dem Etikett "Kreml-Propaganda" um sich wirft. Ein Bericht der Kommission zum Thema ist durchaus lesenswert – wirft aber vor allem Fragen auf.
Die beste Waffe der EU gegen die Meinungsfreiheit funktioniert nichtQuelle: www.globallookpress.com © Thomas Banneyer/dpa

Von Rachel Marsden

Die Europäische Kommission ist in einem neuen Bericht zu dem Schluss gekommen, dass große Social-Media-Plattformen wie Twitter und Facebook trotz ihrer vollmundigen Versprechen, "die Reichweite und den Einfluss der vom Kreml gesponserten Desinformation einzudämmen", damit "erfolglos" waren. Was für ein Schock, dass diese Untersuchung von Befürwortern der Aufsicht am Ende für mehr Aufsicht plädiert hat. Russland ist zufällig der bequemste Sündenbock. 

Mit der gleichen Verleumdungstaktik, die der Block schon früher angewandt hat – etwa als er Russland neben dem Islamischen Staat (IS, früher ISIS) in einen Sicherheits- und Bedrohungsbericht aufnahm –, hat er diesmal "kremlfreundliche" Social-Media-Konten mit solchen in einen Topf geworfen, die er als "kremlnah" oder "vom Kreml unterstützt" ansieht. Mit anderen Worten: Allein die Tatsache, dass jemand mit der westlichen Sichtweise nicht übereinstimmt, reicht aus, um diesen in das Lager der Kreml-Befürworter einzuordnen und als würdig zu betrachten, dass seine Inhalte von der EU moderiert oder verboten werden. Nun entlädt sich der Frust darüber, dass die sozialen Medienplattformen bei der Durchführung dieser Zensur den Ball verloren haben.

"Die Plattformen überprüften und entfernten selten mehr als 50 Prozent der eindeutig verletzenden Inhalte, die wir in wiederholten Tests markierten", so der Bericht. Welche Art von Inhalten wäre das genau? Das ist schwer zu sagen, denn die Beispiele vermischen das legitimerweise Debattierbare mit dem offenkundig Absurden und suggerieren, dass beide eine Zensur rechtfertigen. Sie zitieren zum Beispiel Inhalte, die die Ukraine beschuldigen, von Nazis regiert zu werden – eine berechtigte Sorge, wenn man bedenkt, dass die westliche Presse ausführlich über die mächtige Rolle der Neonazis in der Ukraine berichtet hat, die "aggressiv versuchen, der ukrainischen Gesellschaft ihre Agenda aufzuzwingen".

Demnach versuchen die Neonazis gezielt, ihre Agenda in der ukrainischen Gesellschaft durchzusetzen, unter anderem durch Gewaltanwendung gegen Personen mit gegenteiligen politischen und kulturellen Ansichten", hieß es in einer Veröffentlichung des in Washington ansässigen Freedom House vor dem Konflikt. Zudem stellen sie "eine echte physische Bedrohung für linke, feministische, liberale und LGBT-Aktivisten, Menschenrechtsaktivisten sowie ethnische und religiöse Minderheiten in der Ukraine dar". Der Europarat hatte sich ähnlich geäußert.

Hinzu kommt die Tatsache, dass der Westen das neonazistische Asow-Bataillon für den Kampf gegen die Russen ausgebildet hat. Bereits im Jahr 2018 berichtete Reuters, dass der damalige Präsident Petro Poroschenko "große Auswirkungen riskieren würde", sollte er gegen Neonazis vorgehen

Das klingt so, als gäbe es ein Neonazi-Problem, das es zumindest wert wäre, thematisiert und diskutiert zu werden. Die EU weist jedoch jede derartige Andeutung als russische Desinformation zurück. 

Der Bericht wendet sich auch gegen die Veröffentlichung von Beiträgen, in denen "Kriegsverbrechen geleugnet" werden, und führt die Ereignisse in Butscha als Beispiel an. Es tut mir leid, aber gab es ein Kriegsverbrechertribunal, das wir übersehen haben? Wir sprechen hier über Ereignisse, die sich im unmittelbaren Nebel des Krieges abspielen. Der Versuch, Fakten, Realitäten und Manipulationen zu sortieren, ist genau das, wozu die sozialen Medien dienen sollen. Jeder weiß inzwischen, dass es darum geht, Zugang zu so vielen Rohdaten wie möglich zu haben. Wir erwarten ein chaotisches Durcheinander im Internet – nicht eine kuratierte Encyclopedia Britannica oder die Abendnachrichten. Wie kommt Brüssel darauf, ein Monopol auf diesen Prozess zu beanspruchen?

Der Bericht stellt diese Beispiele für unbequeme Debatten neben ein offensichtlich lächerliches Beispiel für Sh*tposting, bei dem jemand den Namen eines gefälschten Medienunternehmens erfand und verkündete, die Ukraine schicke eine radioaktive Wolke nach Europa. Wenn jemand so dumm ist, das zu glauben, dann ist es sicherlich nicht die EU, die ihn vor seiner eigenen Dummheit retten wird. Jedenfalls nicht für lange. Sollen sie doch die ganze nächste Woche damit verbringen, einen Atombunker zu graben, während sich ihre Nachbarn kaputt lachen. 

In einer Zeile, die man vor lauter Unglauben, dass jemand so unbedarft sein kann, immer wieder lesen muss, heißt es in dem Bericht, dass die sogenannten Desinformationsbemühungen des Kremls darauf abzielen, "politische und soziale Instabilität bei seinen Gegnern zu schüren, indem ethnische Konflikte angeheizt, Isolationismus gefördert und die öffentliche Aufmerksamkeit von der Ukraine auf innenpolitische Angelegenheiten gelenkt werden". Wie können die Menschen in Europa es wagen, darauf zu bestehen, dass ihre führenden Politiker sich auf die erheblichen Probleme ihres eigenen Landes und ihrer Bürger konzentrieren, die seit Langem durch eine fehlgeleitete Politik auf nationaler und EU-Ebene verschärft wurden, anstatt ihre Aufmerksamkeit auf die Ukraine zu lenken!

Wären da nicht die sich einmischenden Russen, wäre Europa eine Utopie voller Sonnenschein und Regenbögen, in der sich alle an den Händen halten und Kumbaya singen, und wo sich die Bürger um nichts anderes kümmern bräuchten als um die Geschehnisse in der Ukraine.

Die EU beklagt, dass "der Kreml und seine Stellvertreter ein wachsendes Publikum mit aufwändig produzierten Propagandainhalten erobern und die Nutzer in unregulierte Online-Räume lenken, in denen demokratische Normen erodiert sind und Hass und Lügen ungestraft verbreitet werden können". Sie haben das alles missverstanden. Menschen, die sich an Debatten und Diskussionen über Themen und Standpunkte beteiligen wollen, die die EU – in ihrer ganzen Arroganz als selbst ernannter Schiedsrichter der Wahrheit – unbedingt zensieren will, wurden auf andere Plattformen gelenkt, gerade weil sie die freie Meinungsäußerung in all ihrer Pracht und Unvollkommenheit unterstützen. 

"Im Laufe des Jahres 2022 haben das Publikum und die Reichweite der vom Kreml unterstützten Social-Media-Konten in ganz Europa erheblich zugenommen", heißt es in dem Bericht, und weiter: "Die Reichweite und der Einfluss der vom Kreml unterstützten Konten haben in der ersten Hälfte des Jahres 2023 weiter zugenommen, was insbesondere auf die Aufhebung der Sicherheitsstandards von Twitter zurückzuführen ist." Mit anderen Worten: Elon Musk, der sich selbst als "Absolutist der freien Meinungsäußerung" bezeichnet, kaufte Twitter, ebnete das Spielfeld, indem er die Debatte öffnete und die Zensur einschränkte, und am Ende strömten die Menschen auf die Plattform als erfrischende Alternative zu den kuratierten und zensierten Darstellungen des westlichen Establishments, mit denen sie anderswo gefüttert werden. 

Was wird die EU nun unternehmen? Nun, seit letztem Monat ist die obligatorische Einhaltung des Gesetzes über digitale Dienste in Kraft. Das bedeutet, dass theoretisch alle großen Social-Media-Plattformen verpflichtet sind, mit den von der EU handverlesenen "zivilgesellschaftlichen" Akteuren zusammenzuarbeiten, um Inhalte zu moderieren und zu zensieren – zweifellos im Einklang mit dem Narrativ der EU. Musk sollte mitspielen und sich Notizen über die Art der Zensuranfragen machen, die von Brüssel an ihn gerichtet werden. Dann sollte er sie auf Twitter veröffentlichen, im Interesse radikaler Transparenz und einer kompromisslosen Verteidigung der Demokratie, zu der die EU ständig Lippenbekenntnisse abgibt, um ihre Eingriffe in unsere Grundfreiheiten zu rechtfertigen.

Aus dem Englischen.

Rachel Marsden ist Kolumnistin, politische Strategin und Moderatorin eines unabhängig produzierten französischsprachigen Programms, das auf Sputnik France ausgestrahlt wird. Ihre Webseite findet man unter rachelmarsden.com.

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