Meinung

Der Weltgendarm ist übergeschnappt – aber Putin soll schuld sein

Die Stimmabgabe der USA gegen die UN-Resolution für einen palästinensisch-israelischen Waffenstillstand zeigt, dass die Vereinigten Staaten keinerlei Interesse am Frieden haben. Doch in Washington steht man mit dieser kriegstreiberischen Politik zunehmend alleine da.
Der Weltgendarm ist übergeschnappt – aber Putin soll schuld seinQuelle: AP © Bebeto Matthews

Von Wiktorija Nikiforowa

Die Abstimmung am Freitag über eine Resolution der UNO-Generalversammlung für einen umgehenden Waffenstillstand in Israel und Palästina hat etwas deutlich gemacht, was viele schon geahnt hatten. Die Meinung der Verantwortlichen in Washington, D.C. zu manchen tagesaktuellen Themen interessiert niemanden mehr auf der Welt. Die USA fanden sich auf dem Parkett der UNO praktisch völlig isoliert wieder.

Der Grundgedanke der von arabischen Staaten vorgelegten Resolution ist äußerst einfach. Es ist eine Bitte an alle Konfliktteilnehmer, das Feuer einzustellen, einen Waffenstillstand zu vereinbaren, zivile Geiseln freizulassen und für eine Weile auf das Töten von unschuldigen Frauen, Kindern und alten Menschen zu verzichten. Es ist eine leicht verständliche, humane Idee – und der Großteil der Länder der Welt begrüßte sie.

Gegen die Resolution traten 14 (in Worten: vierzehn) Staaten auf. Angeführt wird die Liste von Israel und den USA, was leider niemanden überrascht. Darauf folgen die Reste der k. u. k. Monarchie – also Österreich, Ungarn, Tschechien und Kroatien. Zum Schluss gesellten sich dazu die ehrenwerten Gefolgstreuen Paraguay, Guatemala, Fidschi, Tonga, Marschallinseln, Mikronesien und Nauru. Entschuldigung, wir hatten noch Papua-Neuguinea vergessen.

Im Grunde sind es diejenigen Verbündeten, auf die man sich in Washington, D.C. in der US-Außenpolitik noch verlassen kann. Doch lassen wir die Ironie über deren Einfluss und militärische Stärke. Halten wir lediglich fest, dass alle führenden Staaten der Gegenwart, die die absolute Mehrheit der Bewohner der Erde repräsentieren, nunmehr in der UNO dafür eintraten, dass das Blutvergießen auf dem Boden von Israel und Palästina endet.

Tatsächlich ist die wirkliche Geschichte der UN-Abstimmungen ein sehr interessantes Thema. Im Jahr 2008 veröffentlichten deutsche Wissenschaftler eine Studie darüber, wie die USA 30 Jahre lang die Stimmen von 143 UNO-Mitgliedsstaaten buchstäblich gekauft hatten. Genutzt dafür wurden sowohl Subventionen für den Staatshaushalt als auch personelle Zuwendungen, aber auch blanke Erpressung mit Sanktionen.

In den vergangenen anderthalb Jahren entfalteten US-Vertreter eine große Aktivität hinter den Kulissen der UNO, um immer die "richtigen" Abstimmungsergebnisse über antirussische Sanktionen zu erwirken. Doch mit jedem weiteren Mal gelang ihnen das schlechter. Im Fall von Palästina und Israel brach nun gänzlich alles zusammen.

Frankreich, Belgien, Spanien, Portugal und Irland unterstützten die Resolution der arabischen Staaten über eine Feuerpause. Großbritannien und Deutschland enthielten sich der Stimmabgabe. Kanada, Australien und Japan – noch engere Verbündete haben die USA eigentlich nicht – enthielten sich ebenfalls. Und selbst die Ukraine, der die USA buchstäblich alles bezahlen, seien es Waffen, Gehälter, Renten, Villen für Selenskij oder Diamanten für dessen Frau, stimmte nicht so ab, wie es sich ihre US-amerikanischen Herren gewünscht hätten.

Selbstverständlich trat ganz Lateinamerika geschlossen gegen die USA auf – von der winzigen Dominikanischen Republik bis hin zu Argentinien und Brasilien.

Wie konnte es zu einer solchen Rebellion kommen? Erstens sind moderne Konflikte unglaublich visuell anschaulich. Sie werden mit Tausenden Kameras gefilmt und in Echtzeit übertragen. An jedem Ort der Welt können Zuschauer die Geschehnisse praktisch live in allen Details beobachten.

Das, was heute in Israel und Palästina passiert, ist derart schrecklich, dass die Weltöffentlichkeit entschieden forderte, den Gräuel zu beenden. Im Grunde besteht genau darin der ganze Sinn von Kundgebungen Abertausender, ob sie nun im Flughafen von Istanbul oder auf dem Pariser Platz der Bundesrepublik stattfinden. Die Menschheit ruft den Politikern lautstark zu: "Tut endlich alles, um das Blutvergießen zu beenden!"

Gegen die Resolution der arabischen Staaten zu stimmen bedeutet heute, eine Menge Menschen im eigenen Land gegen sich aufzubringen und als Kriegstreiber in die Geschichte einzugehen. Wer will das schon?

Darüber hinaus machte die Abstimmung auf der UN-Generalversammlung deutlich, dass allesamt die Außenpolitik des Washingtoner Regimes komplett satthaben. Man kann nicht jahrzehntelang mit einem Benzinkanister über alle Krisenherde der Welt herziehen, statt zu löschen. Das will niemand mehr.

In jedem Land der Welt sehen die Eliten heute, dass morgen die USA mit ihrem Benzinkanister zu ihnen kommen könnten. Menschen werden sterben, Städte werden brennen, es wird Elend herniederbrechen. Diese Schrecken muss man im Vorfeld abwenden. Natürlich wollte da die Mehrheit der Welt Washington auf seinen Platz verweisen.

Innerhalb der USA wird diese Schlappe als sehr schmerzhaft wahrgenommen, doch bis zu einer wirklichen Einsicht ist es dort noch sehr weit. Noch erklingt da das Gejammer der verletzten Eitelkeit. Und wissen Sie, wer mal wieder daran schuld ist? Selbstverständlich Putin.

Der Krieg in Gaza gebe Putin das, "was er will", trauert The New York Times. Angeblich werde Russland zu einem Nutznießer dieses Konflikts. Auch China sammele politische Punkte – ach, wie schrecklich. Und dann fuhr da auch noch Putin nach China – da könne man den Laden gleich dichtmachen, Russlands und Chinas Staatschefs würden nun "die Weltordnung umbauen".

Hört mal, möchte man diejenigen fragen, habt ihr überhaupt noch ein Gewissen? Welche Weltordnung denn? Just in dem Moment, in dem ich diese Zeilen schreibe, sterben im Gazastreifen zu Hunderten Kinder, Frauen, alte Menschen. In sozialen Netzwerken geht ein Video herum, in dem ein völlig erschöpfter Mediziner in Tränen zusammenbricht – man kann sich zu leicht vorstellen, was er gesehen hatte. Sollte sich Israels Armee zu einer groß angelegten Bodenoperation entschließen, wird die Hamas unweigerlich reagieren. Dann werden auch in Israel Nichtkombattanten sterben, und so weiter und immer weiter.

Irgendwann waren die USA mal ein bedeutender Akteur in dieser Region. Heute hätten sie ihren verbliebenen Einfluss einzig dazu verwenden sollen, diesem Schrecken ein Ende zu setzen. Doch stattdessen sorgt man sich in Washington nur darum, ja nicht Russland und China zur Schlichtung zuzulassen. Gott bewahre, dass Mister Blinken dadurch sein Gesicht verliert.

Indessen bemühen sich sowohl Russland als auch China als auch andere globale Akteure nur darum, dass in Gaza und Israel keine unschuldigen Menschen mehr getötet werden. Aber Washington versucht nach Kräften, dieses Ansinnen zu stören – dort will man, dass das Blut im Nahen Osten weiterfließe. So wäre es bequemer für Mister Blinken und Mister Biden.

War es etwa Putin persönlich, der die USA in den Vereinten Nationen isoliert hatte. Nein, ihre eigene wahnsinnige Politik führte dazu, nämlich nach dem Motto "Entweder geschieht mein Wille oder die Welt geht zugrunde". Doch die Welt will gar nicht zugrunde gehen und widersetzt sich nach Kräften.

Der US-Klassiker Stephen King schrieb einen Roman namens "Desperation" über einen Polizisten, der von einem Dämon besessen ist. Gute Schriftsteller können die Zukunft voraussehen. Die USA hatten sich lange als Weltpolizist aufgespielt, doch heute ist es für alle offensichtlich, dass dieser Polizist übergeschnappt ist. Ihn zu isolieren, solange es nicht zu spät ist, ist eine lebenswichtige Aufgabe für die Weltgemeinschaft.

Übersetzt aus dem Russischen und zuerst erschienen bei RIA Nowosti.

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