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Mali, Niger, Gabun ‒ Siegen am Ende die USA?

Und plötzlich steht Afrika im Mittelpunkt. Das französische Kolonialsystem, das alle frankophonen Länder über Jahrzehnte unauffällig und zumindest in Europa ohne jede Diskussion plünderte, steht vor dem Ende. Die USA würden gern an Frankreichs Stelle treten. Können sie das?
Mali, Niger, Gabun ‒ Siegen am Ende die USA?© U.S. Department of State, Public domain, via Wikimedia Commons

Von Dagmar Henn

Der Putsch in Gabun hat viele skeptisch gemacht, und es melden sich eine Reihe von Stimmen, dass die Ereignisse in Westafrika, die gerade das französische Kolonialimperium bedrohen, von den USA mit betrieben sein könnten. Auffällig ist jedenfalls, dass ausgerechnet Washington, das immer ganz vorne dabei ist, wenn Sanktionen verhängt werden können, selbst beim Niger ungewöhnlich ruhig bleibt.

Klar, man kennt das Muster Farbrevolution aus der einen oder anderen der unzähligen Anwendungen. Und man könnte sagen, den Franzosen ihren Griff auf Afrika zu nehmen, wäre ungefähr das Gegenstück der Sprengung von Nord Stream, weil Paris von den erpressten Einnahmen aus seinen "ehemaligen" Kolonien ebenso abhängig ist, wie die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie von billiger und zuverlässiger Energie.

Nicht nur, dass es einen ordentlichen Ertrag für den Staatshaushalt brächte – über den Beitrag der französischen Kolonialsteuer, die all diese Länder immer noch leisten müssen, kursieren Schätzungen von bis zu 500 Milliarden Euro – es wäre auch das zweite europäische Kernland wirtschaftlich für die nächsten Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, als Konkurrent ausgeschaltet. Was natürlich für die USA, genauer, für ihre Finanzmafia, selbst dann Sinn ergibt, wenn es nicht gelingt, die Hegemonie zu verteidigen. Wenn das Gebiet schrumpft, auf das man Zugriff hat, muss man schlicht beim verbliebenen Rest den Druck erhöhen.

Sich die französischen Kolonien unter den Nagel zu reißen und ihnen damit ein weiteres Mal die Souveränität zu verweigern, ist den USA zuzutrauen, und sie haben auch die Mittel dafür. Zumindest glauben sie das. Aber da kommt die größere historische Dynamik ins Spiel.

Wenn man betrachtet, wann die Versuche solcher künstlichen Umstürze fehlschlagen, und zwar nicht im Sinne eines Scheiterns, sondern im Sinne eines Über-Sich-Hinauswachsens, eines Umschlagens in eine wirkliche Veränderung, dann ist es diese größere Dynamik, die den Ausschlag gibt. In manchen Zeiten funktioniert es, nach dem Handbuch eines Gene Sharpe die Bevölkerung zu einem bestimmten Punkt politisch zu mobilisieren, sie dann aber wieder zu beschwichtigen und in die übliche Passivität zurückzuschicken. In anderen Momenten ist die Reaktion völlig anders; die politischen Forderungen nehmen zu, nicht ab, und die Versuche, die Geister, die man rief, wieder zu bannen, enden wie in Goethes Zauberlehrling.

Es gibt schon ein Beispiel für den Ablauf eines solchen Scheiterns unterhalb der Farbrevolution. Niemand wird bezweifeln, dass die USA massiv dabei engagiert waren, in Brasilien die Präsidentin Dilma Rousseff zu stürzen und Jair Bolsonaro zu installieren. Die Art und Weise, wie die – relativ neue – brasilianische Mittelschicht für Bolsonaro mobilisiert wurde, hatte durchaus einen Zug Richtung Farbrevolution, war aber gewissermaßen nicht das ganze Programm.

Als Bolsonaro dann aber im Amt war, entsprach das Ergebnis trotz seiner Leidenschaft für die USA ganz und gar nicht den Erwartungen. Brasilien trat nicht aus den BRICS aus. Petrobras, die staatliche brasilianische Ölgesellschaft, wurde nicht zum Verkauf angeboten. Und es gab auch keinen US-Stützpunkt in Brasilien.

Das lag nicht an Bolsonaro selbst. Der hatte sich vor den Wahlen vor einer US-Flagge ablichten lassen, mit Hand auf dem Herz; für ihn sind die Vereinigten Staaten, gleich, in welchem Zustand sie sich befinden, das große Vorbild. Es war das brasilianische Militär, das ihn bremste.

Das ist sogar belegbar. Als Bolsonaro gerade sein Amt angetreten hatte, erklärte er öffentlich, er hielte einen US-Stützpunkt in Brasilien für eine gute Idee. Nachdem er im Wahlkampf auch noch immer wieder betont hatte, wie toll er die Militärdiktatur von 1964 bis 1988 fände, und bekannt war, dass er enge persönliche Freundschaften in den Sicherheitsapparat unterhält, hätte man erwartet, dass dieses Vorhaben allerhöchstens bei der parlamentarischen Opposition auf Widerstand stößt.

Aber es kam ganz anders, und in verblüffender Geschwindigkeit. Im Estado de São Paulo, einem sehr konservativen Blatt, sowohl was die Inhalte als auch was die Machart betrifft, stand bereits am Tag nach Bolsonaros Ansage die Aussage eines anonymen "hochrangigen Militärs", Brasilien brauche keine US-Stützpunkte, denn es könne seine Probleme allein lösen. Wenn man ganz genau hinhört, kann man die Drohung wahrnehmen, die sich darin verbirgt. Direkt formuliert hieße das: "Wir wollen das nicht, und wenn du das trotzdem machst, Junge, dann bist du das Problem, das gelöst wird."

Was dahinter steckte, war, dass man zwar in den 1960ern die brasilianischen Militärs erfolgreich davon überzeugen konnte, der Kommunismus sei die Gefahr, was aber dennoch nie dazu geführt hat, dass sie einzig im US-Interesse handelten. Gestalten wie Bolsonaro selbst sind auch unter kolonialen Verhältnissen vergleichsweise selten. Nicht umsonst müssen sie über diverse Ausbildungsinstitutionen, Stiftungen, Stipendien erbrütet werden.

Der Regelfall ist eine widersprüchliche Mischung, wie man anhand der Wirtschaftspolitik während dieser Militärdiktatur erkennen kann, die durchaus auf Industrialisierung setzte und gelegentlich, wie bei der Frage brasilianischer Atomkraftwerke, die USA und Deutschland, das ebenfalls seine Finger drin hatte, gegeneinander ausspielte. Das lässt sich relativ schlicht erklären, wenn man darüber nachdenkt, welche Art von Persönlichkeit eine Karriere beim Militär sucht. Um sie zu überzeugen, aktiv gegen die objektiven nationalen Interessen zu handeln, braucht es entweder massive Korruption oder ebenso massive ideologische Überzeugungsarbeit.

Man sollte hinzufügen, dass auch im brasilianischen Militär der Anteil der in den USA Ausgebildeten relativ hoch ist. Sprich, wenn man dieselbe Vermutung, die jetzt beispielsweise in Bezug auf die mögliche Entwicklung in Gabun geäußert wird, auf den Beginn der Amtszeit von Bolsonaro anlegt, hätte es diese Äußerung nicht geben dürfen. Oder es hätte Dementis oder Widersprüche gegeben, auch aus dem Militär, im Sinne von "Wer immer das war, er war nicht befugt, sich derart zu äußern". Es gab jedoch nicht mehr als diese knappe Mitteilung im Estado de São Paulo, das aber in weniger als 24 Stunden.

Das war ein deutlicher Warnschuss, und vermutlich hat Bolsonaro danach Auskünfte eingeholt, was er tun darf und was nicht. Petrobras, das immerhin mit der geplanten Ausbeute der Gasvorkommen vor der Küste durchaus einer der Auslöser für den Putsch war, blieb brasilianisch.

Für die brasilianische Innenpolitik ist das gar keine einfache Entwicklung, denn all die Jahrzehnte vorher war die Frage, ob man für die Unterwerfung unter die USA oder dagegen ist, der zentrale Punkt, an dem sich die politischen Auseinandersetzungen kristallisierten. Wie man die widersprüchlichen Interessen innerhalb des Landes selbst austrägt, ist etwas Neues, das erst erlernt werden muss.

Nun liegen die Ereignisse in Brasilien bereits einige Jahre zurück, Bolsonaros Amtszeit ist abgelaufen, und Lula da Silva ist wieder Präsident. Inzwischen allerdings ist aus der geopolitischen Auseinandersetzung, die damals gerade anfing, sich aufzuheizen, ein brodelnder Kessel geworden. Womit wir bei der entscheidenden Frage wären, was die vermutlichen Entwicklungen in Westafrika betrifft.

Es gibt seit Jahren in den Ländern des frankophonen Afrika eine Bewegung gegen den CFA-Franc. Sie findet sich tatsächlich in all den Ländern, denen der Gebrauch dieser Währung aufgezwungen wird ‒ auch in Senegal, Togo und Benin, jenen Ländern, die noch vergleichsweise ruhig sind. Man hat, wie üblich, darüber in Europa wenig berichtet. Aber ein Indiz dafür, dass diese Bewegung nicht klein und unbedeutend ist, ist die Tatsache, dass die Beendigung des Kolonialpakts 2017 Teil des Wahlprogramms von Marine Le Pen war (ein interessanter Widerspruch, dass gerade die als rechtsradikal verschriene Marine Le Pen die Forderung im Programm hatte, die Kolonien zu befreien, eine Forderung, die weit und breit das Progressivste war, das man finden konnte, selbst wenn der Hintergrund für diese Forderung gewesen sein mag, dass die Souveränität dieser Länder die Migration von dort nach Frankreich reduziert).

Nun ist global gesehen die Situation anders als 2017; die Entscheidungsmöglichkeiten auch für diese kleineren Kolonien haben sich erweitert. Man muss sich nicht mehr für IWF-Kredite unterwerfen, denn es gibt andere Geldgeber, und in der Ukraine wird derzeit vorgeführt, dass auch die militärische Macht des Westens nicht unbesiegbar ist. Nicht einmal die US-Version davon.

Dass die EU in Panik gerät, ist kein Wunder. Nachdem der wirtschaftliche Motor Deutschland den Kolbenfresser hat, ist Frankreich die Hauptstütze dieser Metastruktur. Und Frankreich gerät ohne die afrikanischen Zuflüsse in massive Probleme. Wenn die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock dann den ohnehin hungernden Niger weiter aushungern will, ist das keine Überraschung.

Wobei die Länder der EU selbst dann verlieren würden, wenn es ihnen gelänge, über Sanktionen und eine ECOWAS-Intervention in Westafrika einen Krieg zur Rettung der französischen Kolonialherrschaft zu entfachen. Denn die Konsequenz eines solchen Krieges, die Konsequenz einer Niederlage der augenblicklichen Souveränitätsbestrebungen wäre eine weitere enttäuschte Generation, die sich auf den Weg nach Europa macht. Dann in ein Europa, das auch ohne diese Migration schon in massiven wirtschaftlichen Problemen steckt. Die Bemühungen, in Niger einzugreifen, sind keinen Deut intelligenter, als es die gegen Russland verhängten Sanktionen waren. Die Entsendung eines EU-Kontingents nach Togo und Benin zeigt, dass man sich nicht allzu viele Hoffnungen machen sollte, dass die Selbstverstümmelung diesmal unterbleibt.

Den Vereinigten Staaten könnte, zugegeben, auch diese Folge egal sein. Aber auch ihr Wunsch, einfach Frankreich beim Plündern abzulösen, dürfte ein unfrommer bleiben. Die Russen dürften das mit einem gewissen Schmunzeln betrachten. Schließlich war die Oktoberrevolution das Ergebnis einer Kollision einer Farbrevolution mit einer durch einen anderen Spieler versuchten zweiten, doch am Ende blieben beide Puppenspieler mit leeren Händen zurück, und anstelle eines vollständig unterworfenen Landes erhielten sie das Gegenteil.

Es war die allgegenwärtige, viele Länder gleichermaßen umfassende politische Krise, die dieses Resultat auslöste. Und augenblicklich findet sich ein ähnlicher Krisenzustand, nur in einem weit größeren Maßstab. Nicht umsonst fand sich in der Parteitagsrede des chinesischen Präsidenten Xi Jinping die Formulierung, die Welt stünde vor einer Welle von Veränderungen, wie sie sie seit hundert Jahren nicht erlebt hat.

Wie verhält sich das Militär in afrikanischen Ländern in einem solchen Moment? Oder anders, wie stark wirkt eine vielleicht vorhandene Bindung einzelner Handelnder in einer Umgebung, die im Umbruch ist? Wenn man den Fall Bolsonaro betrachtet, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass solche Pläne scheitern. Denn im Gegensatz zur Mitte des vergangenen Jahrhunderts, als man mit ein wenig Mühe allen auf persönliche Bereicherung Fixierten Angst vorm Kommunismus einjagen konnte, ist selbst für diesen Teil die Rechnung simpel. Das, was als Anteil bei den Kompradoren hängenbleibt, ist ein kärgliches Handgeld verglichen mit dem, was das in Afrika ohne koloniale Bande mögliche enorme Wachstum ergeben würde. Womit soll dann gedroht werden? Mit dem Klimawandel?

Die Bevölkerungen wiederum sind inzwischen überall zumindest so weit gebildet und so weit miteinander vernetzt, dass sich das Wissen, welchen Anteil die verdeckte Fremdherrschaft am eigenen Elend hat, mühelos verbreiten kann. An dieser Stelle spielt auch die digitale Entwicklung eine Rolle. Nachdem selbst in reichen Ländern wie Nigeria nie flächendeckende Festnetze entstanden waren, fand der Sprung gleich ins mobile Internet statt. Begrenzender Faktor ist nur noch die Stromversorgung. Weder die Entwicklung von BRICS noch das Scheitern von Projekt Ukraine können noch vor den jungen Völkern verborgen werden. Das Wissen, dass sich mit dem Niedergang der USA eine Tür geöffnet hat, die nur noch durchschritten werden muss, ist nicht auf eine kleine gebildete Elite beschränkt, und die Destabilisierungsbemühungen, die seitens des Hegemons schon seit Jahren in Gestalt von Boko Haram und ähnlichen Terrororganisationen erfolgen, sorgen für den nötigen Überdruss am Status quo.

Anders als in Goethes Gedicht gibt es in der wirklichen Welt aber keinen alten Hexenmeister, der die gerufenen Geister wieder zu bändigen vermöchte. Wenn in der heutigen Lage in Afrika die Losung der Souveränität ausgegeben wird, dann wird sie auch eingefordert, selbst wenn jemand Drittes damit eigentlich ganz andere Pläne verfolgte.

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